Zum Internationalen Hebammentag bietet sich ein Blick über die Grenzen an. Während die Krankenkassen in Deutschland Hausgeburten ohne nachvollziehbaren Grund am liebsten nur noch als Privatleistung sehen würden, könnte Großbritannien nach den Niederlanden bald das zweite europäische Land werden, das Hausgeburten zur Regel erhebt. In Großbritannien zeichnet sich ein Umdenken zu mehr Hausgeburten ab und zwar zum Wohle der Frauen. Ob es in Deutschland soweit kommen wird, hängt auch davon ab, ob die in ihrer Existenz bedrohten (freien) Hebammen die nächsten Wochen bis Juli 2015 überstehen.
Hausgeburt zur Regel
Großbritannien könnte nach den Niederlanden das zweite hochentwickelte Land in Europa werden, das Hausgeburten zur Regel erhebt. Dies sieht jedenfalls die neueste Leitlinie des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) vor, das Empfehlungen für den staatlichen britischen Gesundheitsdienst (NHS) herausgibt (http://pathways.nice.org.uk/pathways/intrapartum-care). NICE stellt in der Leitlinie fest, dass für etwa die Hälfte aller Frauen mit einer unkomplizierten Schwangerschaft eine Hausgeburt – oder die Geburt in einem von Hebammen geleiteten Geburtshaus – „sicherer“ ist als die Geburt in einer Klinik.
Entbindung zu Hause die erste Wahl
Für NICE ist die Hausgeburt die Entbindung der ersten Wahl, weil die Rate der geburtshilflichen Interventionen (von Regionalanästhesie über Episiotomie und assistiere Geburt mit Zange oder Saugglocke bis zum Kaiserschnitt) geringer ist, ohne dass sich die Komplikationsrate erhöht. NICE verweist hier auf einschlägige Untersuchungen, die bei einer unkomplizierten Schwangerschaft nur bei Erstgebärenden ein leicht erhöhtes Risiko von schweren Komplikationen ergeben haben.
Die Empfehlung impliziert auch, dass die Hausgeburt für den NHS und damit letztlich für den Steuerzahler die kostengünstigere Lösung ist (auch wenn dieser Punkt nicht in den Vordergrund gestellt wird).
Entscheidung liegt bei den Gebärenden
Vor zwei Jahrzehnten hätte diese Empfehlung in England wie überall (außer in den Niederlanden) eine Rebellion unter den FrauenärztInnen ausgelöst. Doch die Zeiten haben sich geändert. Das Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG) begrüßte in einer Stellungnahme die Leitlinie. Der Berufsverband der britischen GynäkologInnen fand zwar, dass man die Entscheidung im Einzelfall den Frauen überlassen sollte, und riet bei Erstgebärenden von einer Hausgeburt ab.
Hausgeburten mit weniger Komplikationen
In den Niederlanden entscheiden sich zwei von drei Schwangeren mit niedrigem Risiko für eine Hausgeburt, ohne dass die Zahl der Geburtskomplikationen höher wäre als in anderen Ländern. Nach einer im letzten Jahr im Britischen Ärzteblatt veröffentlichten Kohortenstudie war das Komplikationsrisiko bei Low-risk-Schwangerschaften sogar niedriger als bei einer geplanten Geburt in der Klinik.
(Aerzteblatt.de, 4.12.2014/DHZ)