In den Rauhnächten – so heißt es in den alten alpenländischen Geschichten – geht die Percht um. Die alte Muttergöttin ist ja eine der lebendigsten Göttinnen Europas, deren Rituale in vielen Gegenden (wenn auch für viele nicht als bewusster „Göttinnen-Dienst) erhalten sind. Bei den traditionellen Perchtenläufen zeigt sich Frau Percht immer mit ihren beiden Seiten: Als weiße, strahlende helle, überirdisch schöne Göttin wie auch als dunkle, mystische, geheimnisvolle Alte. Sie dreht sich ununterbrochen, ganz wie es die zyklische Kraft der Natur gebietet. Dabei zeigt sie abwechselnd ihr wunderschönes, strahlenumkränztes Sonnengesicht oder das verhüllte, auch unheimlich wirkende, wilde Antlitz des tiefsten Dunkels.
Licht- und Schattenseiten gehören zum Leben
Als uralte Göttin, die über die Zeit um die Wintersonnenwende gebietet, repräsentiert sie den bitterkalten, unbarmherzigen Winter, wo alles erfriert und stirbt. Gleichzeitig werden aber gerade jetzt, in den Rauhnächten die Tage wieder länger, das Licht ist zu Winterbeginn neu geboren, die Sonne nimmt wieder an Kraft zu. Percht steht damit immer gleichermaßen für Geburt und Tod, für hell und dunkel. Nichts davon ist besser, nicht schlechter. Frau Percht ist ganzheitlich, sie trägt die Aspekte des Lebens und des Sterbens in sich. Dieser Übergang von dunkelsten Dunkel zur Zeit der Wintersonnenwende in das Licht, wenn die Tage allmählich wieder heller werden, erinnert auch an die Übergänge, die unser Leben mit sich bringen. Allen voran der allererste Übergang, an dem wir aus dem dunklen, samtigen Mutterschoß hinaus an das „Licht der Welt“ gekommen sind.
Bärmutter Percht zieht ihre Kraft aus der Ge-Bär-Mutter
Vielerort wird die Percht daher auch Bärmutter oder Bermuada genannt. Dass hier nicht nur der Bär bzw. die Bärin, sondern vor allem auch die Ge-Bärmutter gemeint ist, liegt auf der Hand. Percht ist die Gebärende des stärker werdenden Lichts auch wenn alles ringsum noch in Dunkelheit und Kälte erstarrt und wie tot erscheint. Sie soll auch in den Rauhnächten die Seelen der in diesem Jahr Verstorbenen einsammeln und mitnehmen, damit sie wieder in der großen Gebärmutter der Erdmutter ruhen können. Die Percht als Ge-Bär-Mutter soll aber auch die Kinder bringen. So wird die Wilde Jagd, die in ihrem Gefolge durch die Landen braust, auch als Symbol für Fruchtbarkeitsgeister angesehen. Denn im Gefolge der Percht reiten in den alten Mythen nämlich meist wilde Hunde, aber auch Ziegen, Schweine und Hasen: Alles Tiere, die mit Fruchtbarkeit in Verbindung stehen. Und diese passen auch gut zu den am meisten vorgebrachten Wünschen und Orakel-Fragen in diesen heiligen Nächten: Wie steht es mit der eigenen Fruchtbarkeit und jener von Vieh und Feldern? Diese heimelig-kuscheligen Nächte bieten ja auch gute Voraussetzung dafür, dass die alte Muttergöttin, die jetzt umgeht, spätestens in 9 Monaten Kinder bringt …
Große Festnacht der Percht
Die große Festnacht der Percht ist jene vom 5. auf den 6. Januar – die letzte der Rauhnächte, die im Volksglauben auch „Nacht der Wunder“ genannt wird. Jetzt verteilt sie ihre Gaben. Dieser Tag wurde früher Epiphanie = „Erscheinung“ genannt. Frauen feiern den Perchtentag, in dem sie sich treffen und mit den Wünschen für das kommende Jahr, die sie sich in den Rauhnächten erträumt haben, um das Perchtenfeuer tanzen und auch über dieses springen, um sich von der Percht Kraft für das Kommende holen. Bei diesem Sprung werden auch von unten die wichtigen weiblichen Organe so richtig befeuert. Ist das Feuer herunter gebrannt, können sich Frauen breitbeinig über die Glut stellen und die wunderbar wärmende Perchtenenergie, die Magie der „Bärmutter“ heilend in ihre Gebärmutter aufsteigen lassen. Frauen, die keine physische Gebärmutter mehr haben, können sich auf diese Weise mit der universellen Gebärmutter der Göttin verbinden und sie in ihren Körper als Kraftquelle holen.
Text: Andrea Dechant / artedea.net